Ninia LaGrande
Sisters of Choice. Gewählte Schwestern. Du bist wie meine Schwester. Du könntest meine Schwester sein. Du BIST eine Schwester.
Zwei Frauen, zwei Mädchen – zwei Girls, wie Ilvy sagen würde. Zwei, die für sich beschlossen haben: Wir sind Schwestern. Und das hier, das sind wir. Das sind unsere Identitäten. Und unsere Kollektion heißt: I M – I’M Collection.
Ilvy Böhm und Maria Visser trennen neunzehn Jahre. Ihre Vision in dieser Ausstellung ist die gleiche. Gemeinsam entwarfen sie eine Modekollektion und stellen sie ihren Zeichnungen „Shockmodels & Flopstars“ gegenüber. Die Kollektion ist ein Experiment mit Kleidung, ein
Auseinandersetzen mit Stoffen, Möglichkeiten und Botschaften. Gemeinsam haben sie nach Lieblingsstücken gesucht – second hand. Anprobiert und ausprobiert und ihre Top 5 gefunden. Übersetzt in eine mobile Rauminstallation – jedes Stück mit einer eigenen Message. Was bedeutet Kleidung heute? Wie politisch kann ein Look sein? Und welche Eigenschaften ziehe ich mir morgens vor dem Spiegel auf die Haut? Be cool, be fresh, be a supergirl?
Als ich sechs Jahre alt war, besorgte mein Vater zu Silvester Partyhütchen. Meines glitzerte und an der Spitze war eine pinkfarbene Feder befestigt, die leicht wippte, wenn ich durch den Flur lief. Ich kam mir sehr royal vor, so stellte ich mir richtige Prinzessinnen vor, obwohl ich später feststellen musste, dass Viktoria, Meghan und Mary nie so ein Hütchen getragen haben – zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Ich dachte, was soll es schon – für so ein Hütchen braucht man keinen Anlass und trug es auch noch am 1., 2., und 3. Januar. Auch noch im März. Im Mai begannen die Gummibänder hinter den Ohren unablässig zu scheuern und so musste ich mich am 26. Mai von dem Hütchen verabschieden. Vorbei war meine Zeit als Prinzessin. Kein Hütchen, kein Adel. Kleider machen Leute. Kleider machen.
Die Topmodels – eine Designvorlage, gedacht für junge Mädchen – wurden bei Ilvy und Maria zu Shockmodels. So verändert, verformt und verkleidet, dass sie nicht mehr als das wiederzuerkennen sind, was sie eigentlich sein sollen – Zielvorgaben. Aus weiß, schlank, langhaarig und großäugig wird einäugig, verhüllt und felsblockfigürlich. Vom Model zum Zyklop. Vom Popstar zum mexikanischen Totengeist. Vom Abziehbildchen zum Kürbis im pinkfarbenen Minikleidchen. Ein Ausbrechen aus den Regeln. Denn mit Kreativität haben die Topmodels ungefähr so viel zu tun wie ich mit dem Adel – in der Anleitung ist genau vorgegeben, wie welches Model auszumalen und zu gestalten ist. Kreativität für Kindsköpfe, nicht für Kinder. Die Shockmodels und Flopstars sind divers, bunt und anders. Sie sind vor allem eines nicht – regelkonform. Sie entsprechen keinen Klischees und geben keine Grenzen vor. Sie sind neue Vorbilder in einer Medienwelt, in der es nur für Topmodels und Popstars gereicht hat. Ein Auge sieht mehr als zwei.
Nach dem Silvesterhütchen folgten einige modische Experimente in meinem Leben. Ich malte mir Punkte auf die Stirn, weil ich mich als besonders weltgewandt verkaufen wollte. Nur, um mir anzuhören, dass ich aussähe als hätte ich ein Einschussloch auf der Stirn. Ich trug Hosen, die mir drei, wenn nicht fünf Nummern zu groß waren. Ich kaufte so viel ein, dass ich mich tagelang komplett in schwarz kleiden konnte, weil ich dachte, nur so – und nur mit dieser im Vergleich zu meiner Körpergröße lächerlich großen Zigarette in der Hand, würde man mich als Künstlerin ernst nehmen. Ich wechselte Identitäten wie andere den Wohnort und konnte doch nicht verbergen, dass immer ein bisschen was von anderen geklaut und ein bisschen was im Inneren doch ich war. Be cool, be fresh, be a supergirl.
Mode gilt gemeinhin als Frauending. Und was Frauen machen, gilt gemeinhin als nicht wichtig. Dabei ist Mode schon immer Ausdruck von Politik und Gesellschaft gewesen. Die eigene Fassade ist Ausdruck von Mentalität, von Konsum und von Sein. Kleidung als Haltung. Mode war auch schon immer ein feministischer Akt – nichts kann empowernder sein, als sich selbst mit Kreativität zu der zu machen, die man schon immer sein wollte. Nichts kann kritischer sein, als den hungrigen Fast-Fashion-Kapitalismus mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Ein sich Herausziehen aus der Konsumkultur der Gegenwart – geht das überhaupt? Oder bin ich immer auch ein Stück des Systems? Gebraucht kaufen – der einen ein Stück zu lang, der anderen ein Stück zu kurz, in der Mitte ist ein Weg, in der Mitte ist ein neuer Weg, aus neuen Stoffen, aus neuen Träumen, immer in Bewegung. Aber: ein Kimono bleibt ein Kimono bleibt ein Kimono. Und ein Silvesterhütchen bleibt ein Silvesterhütchen. Wichtig ist nur, was du draus machst.
Maria Visser ist studierte Künstlerin. Ily Böhm Schülerin, die sich auf ein Experiment eingelassen hat. Sisters of Chioce aber ist eine Wahlverwandtschaft, die schon weit vor dieser Ausstellung existierte. Alle Stücke sind auf Augenhöhe entstanden, ohne pädagogischwertvolle Vorgaben, ohne Grenzen, ohne Hierarchie. Sisters of Choice ist eine Ausstellung, die den aktuellen Zeitgeist in neue Gewänder kleidet – und dabei besonders das Partnerschaftliche, das Schwesterliche hervorhebt. Sisters of Choice regt aber auch an, über die eigenen Bilder im Kopf nachzudenken, den eigenen Konsum zu hinterfragen und sich selbst Raum für neue Identitäten zu geben. I’m cool, I’m fresh, I’m a supergirl – oder: I am whatever I want to be – I AM!