Ann Kristin Kreisel
Ein paar Gedanken zum KLUB UP STORE
Draußen, vor dem Gebäudekomplex der Artists Unlimited –die meisten werden auf ihrem Weg durch die Viktoriastraße daran vorbeigekommen sein –zieht ein großes Billboard die Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden auf sich: Auf ihm in beindruckender Größe und starkem Schwarzweiß-Kontrast ein für diesen Abend nicht ganz unwichtiges und prägnantes Logo: Ein griffiges Pfeilsymbol trägt den in Großbuchstaben gesetzten Schriftzug: KLUB UP STORE. Der Pfeil erinnert an einen Kurserpfeil, mit dem man sich blitzschnell auf der Oberfläche des Computers bewegen kann, eine Art verlängerter Finger, jederzeit bereit Befehle auszuführen. Der Kurser ist, wenn kein Touchscreen vorhanden ist, fast nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Gleichzeitig verkörpert die eindeutig nach oben ausgerichtete Pfeilspitze eine gewisse Dynamik, ein Nach-Oben-Streben. Top! Es scheint steil bergauf zu gehen. Man könnte in der Form aber auch einen Verweis auf ein einfaches Haus, mit zugegeben etwas überdimensionalem Dachüberstand, sehen. So scheint das Wort KLUB nicht ganz zufällig in dieser oberen Hälfte des Logos untergebracht: KLUB, klar, kennt man: Ein Treffpunkt für Leute mit gleichen Interessen, oft mit popkulturellem Hintergrund, gerne auch etwas künstlerisch und philosophisch. Oder Technoklub, ein Filmklub, vielleicht ein elitärer Klub, ein Kunstklub... Jedenfalls eine Ansammlung von Menschen, es müssen gar nicht viele sein. Naja, um sich Klub nennen zu können, sollte schon wenigstens eine entspannte Stuhlkreisrunde zustande kommen, die, in meiner Fantasie jedenfalls, bis in die Morgenstunden mit wachem Geist und erhitzen Gemütern bei Bier und Wein leidenschaftliche Diskussionen führt über die Welt und die Themen, die sie hervorbringt; die lacht, debattiert, reflektiert... produktiv ist. Tatsächlich ist KLUB ein Künstlerkollektiv. Momentan eine Verbindung aus 15 Künstlern und Künstlerinnen, die alle in Braunschweig bei unter anderem Olav Christopher Jenssen, Thomas Rentmeister und Bogomir Ecker studiert haben. Den KLUB UP STORE betreiben 12 davon: Namentlich: Constanze Böhm, Fides Müller, Sabine Müller, Maximilian Neumann, Eva Noeske, Paloma Riewe, Lena Schmid, David Schomberg, Sophia Schomberg, Tuğba Şimşek, Christina Stolz und Maria Visser. Sophia Schomberg und Maria Visser leben mittlerweile in Bielefeld und haben hier bei den Artists Unlimited ein gemeinsames Atelier, die anderen leben in Hannover und Braunschweig. Das Kollektiv KLUB hat hier also den KLUB UP STORE ins Leben gerufen. Store: Ein Laden, also vielleicht doch eher eine Art Kaufhaus, ein Shop, ein Fachgeschäft für wie immer geartete Waren, die es nur hier in geballter Form und Auswahl zu kaufen gibt. Das Konzept vorab vom KLUB im Detail durchdiskutiert und für passend erklärt. Und schon ist man mittendrin in der Marketingmaschine und der bunten Warenwelt, mit all ihren Werbestrategien und unschlagbaren Angeboten. Nicht zufällig wurde mit dem Titel der Veranstaltung eine Nähe zum Begriff POP-UP STORE gewählt. Als das japanische Modelabel Comme des Garçons 2004 in Berlin den ersten Pop up Store errichtete, war das eine Revolution. Die Stores existieren meist nur wenige Tage, höchstens aber ein paar Monate. Schnell eingerichtet, mit einfachen Materialien wie Kleiderständern aus Wasserrohren, fernab von Kaufhaus-Giganten und Luxusstores wie Gucci, Prada und Co, findet man sie etwas versteckt in Hinterhöfen (so wie hier bei den Artists Unlimited), in Industrieanlagen oder heruntergekommenen Ladenlokalen in Seitenstraßen. Wer dazugehören möchte, muss gut informiert und schnell sein. Ein Konzept gegen Langeweile, denn schon lange geht es hier nicht mehr einzig um das einzelne Produkt, die Ware, sondern um das Erlebnis drumherum, um das Besondere. Auch dem Kollektiv geht es nicht primär um die perfekte Präsentation des Einzelwerks, sondern um den Prozess, das Miteinander der beteiligten Künstler und Künstlerlinnen, um den Austausch und die Verbindungen, die durch ein gemeinsames Projekt entstehen.
Betritt man den KLUB UP STORE, so wird man von übergroßen Displays empfangen. Die Shopmöbel aus Holz sind als praktisches Stecksystem entworfen, schnell können sie so ab- und an der nächsten Location wieder aufgebaut werden. Denn ganz im Sinne des POP-UP STOREs soll auch der KLUB UP STORE weiterziehen, in leere Ladenlokale, vielleicht mal nach Paris, an Orte, die den KLUB-Freunden gefallen, an denen sie arbeiten wollen und wo sie die Leute für ihr Projekt begeistern können. Die Formen der Ladenregale erinnern an Architekturen, Hochhäuser, vielleicht lassen sich auch Bezüge zur Formensprache von Art Deco entdecken. Ganz einfach ist das sicherlich im Gewusel der hoffentlich kauffreudigen Kundschaft nicht. Denn wichtig ist in erster Linie ihr Nutzen: Sie dienen der Präsentation von Waren, die den Storebesuchern zum Kauf angeboten werden: Unter anderem Kataloge, Keramik, Leinwände, Poster, Kleidung, Skulpturen, und sogar Möbel. All diese Objekte sind Kunstwerke. Teils neu für die Präsentation hier entstanden, teils bestehende Arbeiten, die sorgfältig ausgewählt wurden. Bei Fragen zu den Objekten und Kaufinteresse wendet man sich an das fachkundige KLUB-Personal in den beiden Kiosken. Hier wird beraten, auf Wunsch werden einzelne Kunstwerke aktiviert. Bei aufwändigeren Werken, wie den großen Malereien, kann das Personal die Werke herausholen und dem Kaufinteressenten im vollen Ausmaß präsentieren. Auf den Treppen hier im mittleren Raum kann in Ruhe gelesen, gefachsimpelt, Bier getrunken und über mögliche Investitionen in den Kunstmarkt nachgedacht werden. Die Informationen zu den einzelnen Werken, wir nennen sie hier nun Produkte, findet man auf den großen Karten an den Wänden. Wie als Kind, wenn man beim Kiosk mit dem Finger auf die gewünschte Sorte auf der Eiskarten gezeigt hat, da man den Namen noch nicht lesen konnte, kann man auch hier im Kiosk einfach auf das Produkt seiner Wahl zeigen und das KLUB-Personal holt es aus dem entsprechenden Fach. Klar, simpel und für jedermann praktizierbar. Bei Abschluss eines Kaufes gibt es ein KLUB-Zertifikat und die Ware wird in das KLUB-Packpapier eingewickelt. Ähnlich wie eine Tüte trägt der Käufer den Namen somit auch wieder mit auf die Straße, vorbei an dem großen Billboard und weiter hinaus in die weite Welt. Sichtbarkeit schaffen, eine Marke genauso bewusst wie unterschwellig in den Köpfen der Leute festsetzen, das ist das Ziel! Neben dem Spaßfaktor, der hier sicherlich nicht zu kurz kommt, geht es hier sehr ernsthaft um die Befragung von Strategien für junge Künstler: Displays schaffen, Kunstwerke in den Umlauf bringen, Austausch darüber anregen, und dadurch mit Menschen in den Dialog über Kunst zu treten. Dafür ist der Kiosk als gesellschaftliches Instrument, das verschiedenste Zielgruppen zusammenbringt und wichtiger Teil des Alltäglichen ist, ein gut gewählter Rahmen. Der Kiosk, das Büdchen, der Spätkauf, die Trinkhalle: Sie alle sind Treffpunkt, Anlaufstelle. Sie machen Dinge auf einfachem und direktem Wege zugänglich, die man im täglichen Leben braucht. Keiner fühlt sich ausgeschlossen und mal auf den Punkt gebracht: Jeder mag Kioske! Sie haben etwas Sympathisches und zudem Zweckmäßiges. Mittlerweile gibt es Kultkioske, zu denen Touristen scharenweise reisen, und die berühmten Pilzkioske aus den 50er Jahren in der Form eines Fliegenpilzes sind heute zum großen Teil alle denkmalgeschützt. Und geht es bei Kunst nicht auch um Konsum? Kunst soll konsumiert werden, denn nur durch ihre Betrachtung und die Auseinandersetzung damit wird sie doch erst zu dem was sie ausmacht. Kunst ist für die Gesellschaft unabdingbar und gehört somit auch mitten rein. Es müssen neue Begehrlichkeiten geschaffen werden. Niederschwelligkeit ist eines der wichtigsten und meist diskutiertesten Themen in Kulturinstitutionen: Eine Ausstellung soll immer auch eine Einladung sein, sich durch ein Thema angesprochen zu fühlen, einen Zugang zu finden. Kunst darf durch keine Schwellen abgeschirmt sein und dadurch Personengruppen ausschließen. Kunst soll verschiedene Perspektiven zusammenbringen und Vermittler sein zwischen Mensch und Welt. Die Befragung des KLUB-Kollektivs, an welchem Ort und wie Kunst zugänglich gemacht werden soll, trifft hier den aktuellen Nerv der Zeit. Das Projekt KLUB stellt mit ihrer Präsentation darüber hinaus auch zur Diskussion, wie man als Künstler von seiner Kunst leben soll. Denn um sich seinem Werk voll und ganz widmen zu können, muss man seine ganze verfügbare Zeit, ja eigentlich sein Leben der Kunst widmen. Es ist ein innerer Antrieb, Künstler zu sein, Werke zu schaffen. Das sollte unabhängig von einem kommerziellen Interesse möglich sein. Aber wie soll das gehen, wenn die Wohnung, das Atelier und das Essen bezahlt werden müssen? Künstler müssen Werke verkaufen, um diese überhaut schaffen zu können. Schon Joseph Beuys bekannte: Kunst = Kapital. Schauen wir uns den aktuellen Kunstmarkt aber mal etwas genauer an: Selbst Gerhard Richter, einer der international einflussreichsten und erfolgreichsten lebenden Künstler nannte die Entwicklungen auf dem Kunstmarkt jüngst irrsinnig und erschreckend. Gerade wurde eine Studie des Unternehmers Magnus Resch veröffentlicht, in der er mit einem Team von Datenwissenschaftlern versuchte, den Erfolg von Künstlern zu messen. Dabei kam heraus, dass der Markt ein völlig undemokratisches System ist, in welchem ein paar sehr wenige Strippenzieher, darunter u.a. das MoMA, die Gagosian Gallery und Pace Gallery, alles Amerikaner und hauptsächlich in New York ansässig, über den Erfolg von Künstlern entscheiden. Die Studie zeigt, dass von 500.000 untersuchten Künstlern, die nicht Teil dieses Netzwerkes sind, nur 240 messbar Erfolg (das heißt Ausstellungen in renommierten Museen, Vertretungen in etablierten Galerien, Aufmerksamkeit in der Presse und natürlich Erfolg durch Verkäufe) erlangten. Die anderen haben laut Resch auf dem Markt keine Chancen. Und gleichzeitig werden Kunstwerke zu immer neuen Spitzenpreisen bei Auktionen versteigert, wie zuletzt im November 2018 das Bild "Portrait of an Artist (Pool with Two Figures)" des britischen Künstlers David Hockney: Ein Bieter kaufte es für90,3 Millionen Dollar. Damit wurde Jeff Koons von der Spitze gestoßen. Schätzungen zur Größe des weltweiten Kunstmarktes sind ungenau. Google sagt wir sprechen ungefähr über einen Betrag von 50 Milliarden US-Dollar. 50 Prozent des gesamten Marktes werden von ungefähr zehn Künstlern bestritten. Diese Künstler beziehungsweise deren Arbeiten werden als "Blue Chips" bezeichnet und als Anlageobjekte von Sammlern gekauft und von wiederum circa zehn großen Galerien gehandelt. Als junger Künstler erstmal nur ein Werk für ein paar hundert Euro zu verkaufen, grenzt unter den aktuellen Bedingungen des Marktes schon manchmal an ein Wunder. Nehmen wir diesen kleinen Ausflug in die wahnsinnigen Dimensionen des Kunstmarktes doch heute gerne umso mehr zum Anlass, hier zuzuschlagen, sich auf die Kunst einzulassen. Denn hier ist die Kunst überhaupt mal greifbar, man darf Werke teilweise sogar anfassen, von allen Seiten beschauen. Wo gibt es das sonst denn schon in einer Ausstellung? Der Store ist nämlich eben auch das: eine Ausstellung und gleichzeitig Kunst an sich. Und dass ein Laden Kunst ist, hat schon Hans-Peter Feldmann eindeutig mit „ja“ beantwortet. Er eröffnete 1975 seinen Kuriositätenhandel für technische Antiquitäten und Blechspielzeug und führte ihn 40 Jahre lang mitten in der Altstadt von Düsseldorf. Heute ist der Laden Teil der Sammlung des Lenbachhauses in München, mit all seiner Ware, den Details, der Theke, den Fenstern. So wie Hans-Peter Feldmann mit seiner konzeptionellen Kunst die Welt erforscht, die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen thematisiert und das Banale des Alltags beobachtet, genauso handhabte er auch seinen Laden. „Viele Museen können ein Laden sein“, so Feldmann, „und viele Läden können ein Museum sein. Das ist nur eine Grenzwanderung, denn da ist eine Überlappung zwischen Museum und Laden.“ In diesem Sinne: Stellen sie sich im KLUB UP STORE so wie im Kiosk eine Bunte Tüte zusammen: Greifen sie auch mehrfach zu: Denn wir wissen ja alle: Eine am Kiosk gekaufte Schlickertüte wird erst durch die Menge der verschiedenen kleinen sauren Bohnen, Schlümpfe, Colaflaschen und Brauseufos richtig interessant. Und dann bleibt mir nur viel Spaß beim Stöbern, Austauschen und Shoppen zu wünschen